Al Paka erzählt über die Heuchelei

A: Warum ärgerst du dich denn heute so?

Es ist wegen der Heuchelei. Kein anderes Wort hat sich mir in den letzten Monaten mehr aufgedrängt als dieses.

Wann hat die Gesellschaft beschlossen, Heuchelei zur bewunderten Kunstform zu erheben?

Wann hat die Gesellschaft beschlossen, begnadete Heuchler und Blender als Gurus der neuen Zeit zu verehren?

A: Gurus? Bekomme ich etwa Konkurrenz?

Hast du jetzt mal wieder die orange Kutte um?

A: Grins – Inka haben nun mal keine Gurus. Und als Sonnenkönig würde ich wohl heucheln.

Womit wir wieder beim ärgerlichen Thema wären.

Egal, ob das jetzt der Erzbischof ist, der sich entschuldigend, die Aufklärung aller Missbrauchsfälle verspricht, während er sich heimlich den Schweiß von der Stirn wischt und ein Dankgebet zum Himmel schickt, weil er selbst nicht erwischt worden ist und die Vertuschungsaktionen schon auf Hochtouren laufen.

Oder der aalglatte Politiker, der als eiskalter Soziopath lächelnd und treuherzig in die Kameras lügt, wie wichtig ihm das Land und das Volk sind, während im Hintergrund eiskalte Säuberungen, Propaganda und neue Autokratie vorangetrieben werden. Wohlweislich nicht zum Nutzen des Volkes. Wo kämen wir denn dahin?

Oder der ach so ergrünte Konzernchef, der seine Produkte, die auf Umweltzerstörung, Kinderarbeit, Sklavenhaltung und politischer Einflussnahme beruhen, als nachhaltig ökologisch bezeichnet, weil sie neuerdings eine Verpackung aus Bambus haben.

A: Und was daran ärgert dich nun? Ist ja nichts Neues, oder?

Jeder weiß es. Jedem ist bewusst, dass sie lügen. Warum nehmen wir alle das als selbstverständlich, normal hin? Weil es immer schon so war? Seit wann ist denn immer? Und warum sind wir so abgebrüht?

Vielleicht weil es, wie im Großen, genauso zu unserem kleinen persönlichen Alltag gehört? Weil wir genauso zu den Heuchlern gehören und es uns schon in Fleisch und Blut übergegangen ist? Und richtig: derjenige der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.

Wir wollen eh mehr für den Umweltschutz tun, aber heutzutage braucht jeder nun mal zwei Handys, ein Tab und einen Laptop. Dafür bringen wir die Kinder nach dem Griechenland Urlaub im SUV eh zur Fridays for Future Demo, wo der Sound aus dem Dieselaggregat gespeist wird und der Dreck danach zwei LKWs füllt.

A: Ist das jetzt nicht ein bissl von oben herab? Heuchelst du denn nie? Magst nicht vor deiner eigenen Tür kehren?

Doch sicher. Ist menschlich. Wir alle heucheln jeden Tag. Ich meine damit nicht die kleinen Notlügen, ohne die unser Zusammenleben mehr als ungemütlich wäre.

Ich meine die Heucheleien, die wie ein Schleier über unserem Leben liegen und uns unglücklich machen ohne, dass wir es richtig merken.

A: Wir heuchelmorden also unser Glück?

Schau, bezeichnend dafür ist für mich das Wort „eigentlich“

Eigentlich sind wir eh ganz glücklich in unserer Partnerschaft.

Eigentlich ist der Job eh total gut und schließlich muss man ja von was leben.

Eigentlich wollen wir Sport machen, aber uns tut eh jetzt schon alles weh.

Das Wort „eigentlich“ bringt uns in ein Spannungsfeld zwischen dem was wir leben und dem was wir, im Innersten wissend, leben sollten.

Diese Spannung kostet uns Energie, kostet uns Lebensfreude, kostet uns Kraft.

A: Und gründest jetzt eine Heuchelmord-Selbsthilfegruppe?

Übernimmst du den Vorsitz?

A: Sicher nicht. Im besten Fall stelle ich mich als Mordopfer zur Verfügung.

Das wäre wohl ein cold case.

A: Wenn schon cool case. Weiter im Text?

Wir wissen doch genau, dass Veränderung nötig wäre, aber wir haben Angst uns den dunkleren Seiten unseres Seins zuzuwenden, genau hinzuschauen auf die vermeintlich schwarzen Flecken unserer Existenz. Die Schatten. Den Schmerz. Das Unangenehme. Das Verdrängte.

Gefällt uns etwas nicht stecken wir den Kopf in den Sand. Bezeichnend der Satz den ich immer wieder höre: „Ich will´s gar nicht so genau wissen.“

Die Angst davor uns selbst brutal ehrlich zu sehen wie wir sind und der Wunsch besser zu sein, als wir sind, macht uns alle zu Heuchlern. Die Unfähigkeit Authentizität zu leben, macht uns zu unglücklichen Menschen.

A: Sehr philosophisch. Aber „eigentlich“ ist jetzt eh alles wieder gut. Oder nicht?

Hmpf. Al lauf. Schnell. Jetzt …

Eine Kolumne von Al Paka